Die Hexentaufe

 Das ehemalige adelige Frauenstift Rellinghausen, ausgestattet mit eigener Gerichtsbarkeit, war während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Schauplatz von Hexenprozessen. Gemessen an der damaligen Bevölkerungszahl von ca. 600 Stiftsbewohnern verdienen diese Prozesse in ihrer Heftigkeit und ihrem Umfang – 42 Hinrichtungen innerhalb von 15 Jahren – sicher das hier unrühmliche Etikett „außerordentlich“.

Die einzelnen Schauplätze dieses „Hexenwahns“ sind heute noch gut auszumachen:

• Im Gerichtsturm an der Oberstraße wurden die Beschuldigten gefangen gehalten, verhört und gefoltert. 
Stätte der Hinrichtung war der ehemalige Galgenberg. Seit Errichtung des Schillerbrunnens im Jahre 1905 wurde dieser Ort in „Schillerwiese“ umbenannt. 
• Bei der besonders tiefen Stelle am Prallhang der Ruhr unterhalb des Schellenberges haben die sogenannten Wasserproben stattgefunden. 

Wahrscheinlich seit den Tagen der Hexenprozesse, also seit ca. 1580, war der Bereich um den Ruhrknick leicht verharmlosend als „Hexentaufe“ bezeichnet worden. Um nun jene dunklen Jahre Rellinghauser Geschichte nicht vollends in Vergessenheit geraten zu lassen, trägt diese Straße oberhalb jener Stelle seit 1899 den Namen „Hexentaufe“.

Was aber ist darunter zu verstehen?

Im frühen Mittelalter pflegte man – wenn auf andere Weise die Wahrheitsfindung nicht möglich schien – die Entscheidung über Schuld oder Unschuld durch ein „Gottesurteil“ herbeizuführen. Neben der „Feuerprobe“ gehörten Wasserproben zu den populärsten Methoden. Dazu band man dem Beschuldigten Arme und Beine zusammen und ließ ihn an einem Strang ins Wasser hinab. Als das entscheidende Indiz wurde gewertet, ob er dabei nach unten sank oder nach oben trieb.

Bereits im alten Mesopotamien nahm man um 1800 v. Chr. Gott als Richter über Leben und Tod in Anspruch. Der Flussgott sollte die Entscheidung fällen. Wer den Flussgewalten widerstand galt als „gereinigt“.

Im Mittelalter wurde die Regel allerdings umgekehrt: Wer oben schwamm, galt als verdächtig. 

Entgegen der weitverbreiteten Meinung waren Wasserproben keineswegs fester Bestandteil der Hexenprozesse. Von den meisten Juristen – selbst jenen, die an Hexerei glaubten – wurde die Wasserprobe als Indiz für Hexerei abgelehnt. Die Kirche hatte den Geistlichen bereits im Jahre 1215 die Durchführung von Gottesurteilen verboten. Und auch die weltlichen Gerichte hatten seit dem 13. Jahrhundert davon Abstand genommen. Schließlich wurden auch vom Kaiser Gottesurteile untersagt. Stattdessen sollte (leichte) Folter bei der Wahrheitsfindung helfen. 

Dennoch tauchte die Wasserprobe als Mittel der Justiz während der Hexenverfolgung vielerorts wieder auf, so auch in Rellinghausen.

Wie ist das zu erklären?

Vor allem der Volksglaube führte dazu, dass viele der Hexerei Beschuldigten darum baten, sich der Wasserprobe unterwerfen zu dürfen. Sie sahen darin eine Chance, ihre Unschuld zu beweisen, ohne dass sie gefoltert wurden. 

Sicher war die Wasserprobe nicht völlig ungefährlich. Vor allem, wenn der Proband vorzeitig zu atmen begann, zu viel Wasser schluckte oder man ihn „versehentlich“ zu spät wieder nach oben zog, drohte statt des Feuertodes das Ertrinken. Über die Anzahl solcher Opfer schweigen die Quellen. In der Regel hatte allerdings der Scharfrichter dafür Sorge zu tragen, dass bei der Wasserprobe niemand zu Schaden kam. Die seelische Not, die die Menschen dazu trieb, sich der Wasserprobe zu unterziehen, bleibt bei dieser Betrachtung freilich ausgespart. Denn niemand konnte ja sicher wissen, wie für ihn die Probe ausgehen würde.

Wer nämlich hierbei nach oben trieb und schwamm, galt als der Hexerei verdächtig, weil ihm dies nur mit Hilfe des Teufels habe gelingen können. Eine andere Vorstellung beruhte darauf, dass Hexen sehr leicht sein mussten, um fliegen zu können. Das hielte sie an der Wasseroberfläche.

Laut Augenzeugenberichten haben solche Wasserproben im Stift Rellinghausen unter Beisein etlicher Stiftsbewohner wie auch der Stiftsdamen stattgefunden. 

Für mindestens 42 Personen – Männer und Frauen – verlief die Wasserprobe in Rellinghausen zu deren Ungunsten. Sie wurden danach dem Scharfrichter zur „peinlichen Befragung“ überantwortet. Diese von Folter begleiteten Verhöre fanden mit größter Wahrscheinlichkeit im Verlies des Gerichtsturms an der Oberstraße statt.