Ferdi Fuchs

von Sigrid Mundt

Ferdi Fuchs sitzt vor seinem Bau im Schellenberger Wald. Schlechte Laune hat er.
„He, Ferdi, warum hast du so schlechte Laune?“, zwitschert ihn ein Rotkehlchen an.

„Warum, warum, warum? Na, weil ich etwas verloren habe!“ „Ja, was denn?“, zwitschert neugierig das Rotkehlchen. „Meine gute Laune hab ich verloren, so einfach ist das!“, knurrt er.“Oh!“ Schnell macht das Rotkehlchen einen Abflug, denn schlechte Laune erträgt niemand gerne, auch Rotkehlchen nicht.

Da sitzt er nun, der Ferdi, einer der niedlichsten Füchse im gesamten Essener Süden. Feuerrot ist sein Fell, dicht und glänzend, weiß das Vorderschnäuzchen und die Bäckchen, weiß auch das Lätzchen. Seine Beine sind im unteren Bereich schwarz. Sein ganzer Stolz ist sein buschiger, roter Schwanz mit der weißen Schwanzspitze. Er streckt sein spitzes Schnäuzchen in die Luft und schnüffelt. „Es riecht nach Schnee!“, stellt er fest, und das verbessert seine Laune auch nicht unbedingt. Er weiß, dass es dann mit der Futtersuche nicht einfacher wird. Schon am vergangenen Tag konnte er seinen Hunger nicht stillen; auch die Mäuschen wissen im kalten Winter, wo es gemütlich ist.- Da er ein schlauer Fuchs ist, denkt er daran, einen Abstecher in die Wohngegend der Menschen zu machen.

Er kommt vorbei am Bau des Dachses. Der Dachs Damian ist sein Freund. Gerade kommt Familie Dachs von ihrem nächtlichen Futtergang zurück. „Hallo, Ferdi!“, begrüßt ihn Damian freundlich. Ferdi aber knurrt nur unwillig und macht die Augen zu Schlitzen.

„Wie kann man nur so unhöflich sein, und seine schlechte Laune so raushängen lassen!“, bemerkt der Dachs halblaut. Ferdi hat sehr schöne, große und guthörende Ohren. Er hat schon gehört, was Freund Damian da gesagt hat.

Ein bisschen schämt er sich, macht, dass er schnell davonkommt.

Als er in Rellinghausen Stadtboden betritt, erregt er Aufsehen. Die Kinder kommen gerade aus der Ardeyschule; dort gab es eine Weihnachtsfeier. Sie zeigen auf ihn: „Da ist ein Fuchs, da ist ein Fuchs!“, rufen sie, sind begeistert, manche erschrocken. Ferdi sieht sich um, sieht nach rechts, sieht nach links, dreht sich wieder um, aber da ist nur er, Ferdi Fuchs. „Ich glaube, die meinen mich!“, sagt er und hebt ganz stolz seinen Kopf.

Ganz steif und mit kleinen Schrittchen stelzt er weiter. Die Kinder singen hinter ihm her: „Fuchs, du hast die Gans gestohlen, gib sie wieder her, sonst wird dich der Jäger holen, mit dem Schießgewehr.“ „Wenn ich eines hätte, so ein Gänschen, dann ginge es mir besser!“, mault er. Vor dem Blücherturm macht er halt, schaut ihn sich lange an und hat Erinnerungen an Geschichten, schlimme Geschichten, die sich um den Turm ranken, und von denen er vor einiger Zeit auf der Schillerwiese in Stadtwald gehört hat. Aber so richtig kann er sich im Moment nicht mehr erinnern.

Neben ihm landen zwei Tauben. „Zwillinge sind wir!“, gurren sie, und drehen sich eitel und mit kleinen, gezierten Schritten vor Ferdis Augen. „Sie ist ich, ich bin sie.“ „Ist mir so egal, ob ihr Zwillinge seid, ich liebe euch beide, auch einzeln!“, dabei schleckt Ferdi sich mit der Zunge übers Mäulchen. Die Tauben flattern erschreckt auf und landen auf dem Dach des Blücherturmes. Dort gurren sie weiter und hoffen, dass Maumaumauro, der schwarze Kater, nicht erscheint. So ganz ohne Gefahren ist das Leben einer Taube auch nicht.

Ferdi schnüffelt gute Gerüche: Da duftet es nach Buttergebäck, dort nach Lebkuchen, nach Krapfen, nach Zimtsternen, Vanillekipferln, nach Bratäpfeln, aber auch nach Rostbratwurst und am „Alten Stiftshaus“ nach Braten! Aus einem offenen Küchenfenster… oh Herr aller Füchse… duftet es nach Gänsebraten! Ja, es ist Weihnachtszeit, da ist es bei den Menschen besonders festlich, da gibt es gute Dinge, auch Dinge, die sich ein kleiner, hungriger Fuchs in seinen leeren Magen wünscht. Füchse mögen vieles, was auch Menschen mögen.

Menschen sind jetzt unterwegs. Sie eilen, um die letzten Besorgungen für das Fest zu tätigen. Sie sind so spät dran, dass sie den kleinen Fuchs gar nicht wahrnehmen. Vieles nehmen sie nicht wahr! Einige aber sehen ihn, bleiben stehen und lachen, reden, was man tun sollte, könnte, müsste, aber da ist Ferdi schon längst um die nächsten vier Ecken. Die Hunde zittern noch nach; für sie war diese Begegnung eine große Aufregung!

Vor dem Restaurant “Alte Dorfschenke“ auf der Frankenstraße, dem alten Haus von 1487, welches die Familie Vittinghoff-Schell ehemals als Hospital, als Gasthaus und als Herberge gestiftet hatte, bleibt Ferdi stehen. „Oh, das sieht gemütlich aus.“

Ferdi umschleicht das Haus. „Vielleicht finde ich irgendwo einen Durchschlupf. Meine gute Nase würde mich schon zur Küche leiten, aber erst mal drin sein!“ Da öffnet sich gerade die Tür zum Restaurant. Schwups, hinein! Gäste springen auf. Gläser fallen um. Gabeln landen auf dem Boden. Einigen Gästen fallen die Happen vor lauter Erstaunen aus dem Mund. Aber bis zur Küche schafft es Ferdi nicht, denn der Koch hat ihn gesehen und läuft schreiend, und den Kochlöffel schwingend, hinter ihm her! (Liebes Füchslein, lass dir raten, sei doch nur kein Dieb, nimm, du brauchst nicht Gänsebraten, mit der Maus vorlieb.) „Kleiner Dieb aus Not“, sagt eine ältere, mitleidige Dame. „Er hat ja auch nichts genommen!“ „Nee, nichts erwischt!“, verbessert sie ihr Mann.

Ferdis Laune wird nicht besser. Da sieht er eine Schar von Krähen, die sich über einen Müllcontainer hermachen. Als er sich ihnen nähert, wissen die Krähen genau, dass da einer kommt, der ihnen das Futter streitig machen könnte, der ihnen selbst gefährlich werden könnte. Sie schreien und kreischen und fliegen Scheinangriffe auf ihn. Ferdi faucht. Ferdi zeigt die Zähne, aber die Krähen sind viele, Ferdi ist nur Ferdi. Ferdi allein in Rellinghausen. Schnell rapscht er sich einige Bröckchen vom Boden und verschwindet ganz schnell Richtung Wald. Diese Art der Futteraufnahme gefällt ihm nicht. „Das war wohl nichts mit meinem Ausflug“, meutert er und kaut – noch immer hungrig – auf einem alten Hühnerknochen herum.

Es fängt an zu schneien. „Na, bitte, hab ich doch vorhergesagt!“, brummelt er. Erst kleine, weiße Fusselchen, dann vereinzelte Flöckchen, die sich in seinem Fellchen festsetzen möchten. Ferdi zwinkert mit den Augen.

Die Flöckchen werden zu dicken Flocken und bedecken den Waldboden mit einem weißen Teppich. Kleine Fußspuren sind bereits zu sehen: Abdrücke im frischen Schnee von Vögeln, von Häschen, von Eichhörnchen. Ganz still ist es um ihn herum, still und einsam. Einsam? Aber das Rotkehlchen ist doch wieder da! “He, Ferdi, hast du deine gute Laune gefunden?“ Und zwei Eichhörnchen flitzen über seinen Weg. “He, Ferdi, uns kriegst du nicht!“, lachen sie. Und ein Hase macht Männchen und zieht sich seine langen Ohren noch länger.

Langsam setzt die Dunkelheit ein, nur der weiße Schneebelag leuchtet Ferdi. Oben im hohen Baum aber sitzt einer mit glühenden Augen und beobachtet Ferdi. Es ist der Uhu, ein Feind für Ferdi! Der Uhu setzt zum Sturzflug an, direkt auf Ferdi! „Jetzt nichts wie rein in meinen sicheren Bau!“, denkt Ferdi Fuchs. „So einsam ist es gar nicht im Wald.“

Überraschung! In seinem Bau gelandet, findet Ferdi, auf einem Borkenstück angerichtet, ganz viele leckere Dinge vor: Heuschrecken, Würmer, Obstabfälle vom Herbst, Pilze, Beeren, Käfer und ein Ei. Wer mag wohl der freundliche Spender gewesen sein? Ferdi weiß es! Voller Dank denkt er an Freund Damian.

Am nächsten Tag beginnen bei den Menschen in Rellinghausen und in Stadtwald die Glocken zu läuten. Ferdi weiß, was es bedeutet: Die Menschen feiern das Weihnachtsfest. Er hat von der Geschichte eines Geburtstages gehört, Geburtstag eines Menschenkindes, welches in einer Futterkrippe liegt, auf Heu und auf Stroh gebettet, umstanden auch von Tieren wie Ochs und Esel. Sicher sind auch Schafe und Lämmer dabei, und oben im Gebälk des Scheunendaches sitzen bestimmt auch Vögelchen und andere geflügelte Wesen. Ein Fuchs ist bei diesem Geburtstag nicht dabei. Aber Maria und Joseph, und die freuen sich über den göttlichen Sohn und betrachten ihn froh!

Ferdi schaut vorsichtig aus seinem Bau. Der Himmel ist jetzt klar. Die ersten Sterne erscheinen und funkeln. Einen besonders hellen Stern nennt Ferdi Geburtstagsstern.

Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Ferdi überlegt, ob er bei seinem Freund Damian vorbeischauen soll. Entschuldigen müsste er sich für sein unfreundliches Benehmen. Dreimal muss er bellen vor dem Bau der Familie Dachs, dann wird ihm Einlass gewährt. „Oh, ist es bei euch schön mummelig! Und so sauber!“ Ferdi bewundert die vielen Gänge des Dachsbaues, den großen Wohnkessel und das Klöchen, welches direkt vor dem Bau angebracht ist.

Dachsdame Melina schimpft gerade mit den kleinen Dachsen, die vor einem leicht verkrusteten, länglichen Ding sitzen, welches etwas verborgen in der Erde steckt. „Sitzt nicht so lange vor dem Ding herum; es tut euch nicht gut!“, ermahnt sie zum wiederholten Mal. „Dieses blöde Ding!“, schimpft Damian. Es gibt auf Fragen keine Antwort, es bewegt sich nicht, liegt einfach so da, hat keine Ähnlichkeit mit irgendeinem Lebewesen. Es hat kein Fell, es besitzt keine Beine, Ohren sehe ich auch nicht und einen Schwanz kann ich auch nicht entdecken. Hab ich dich eingeladen, du blödes, langweiliges Ding, du?“

„Lass uns noch ein bisschen das Ding ansehen!“ betteln die Dachskinder. „Vielleicht sagt es uns etwas. Vielleicht ist es ein Stückchen gewachsen, vielleicht bewegt es sich, vielleicht geht bei ihm alles ganz, ganz langsam und leise, sodass wir es nicht wahrnehmen. Irgendwie und irgendwoher ist es doch in die Erde gekommen!“ So sprechen die Dachskinder. „Na, gut, aber sitzt nicht so lange vor dem Ding, es tut euren Augen nicht gut, wenn ihr so angestrengt darauf wartet, dass sich etwas an dem Ding tut!“, sagt Mutter Melina.

Die Dachskinder schauen und schauen, schauen so angestrengt, dass sie sich bald

einbilden, das Ding hätte sich bewegt, mit der spitzen Schnauze gezuckt, hätte leise

Töne von sich gegeben. Dann schlafen sie ein. Unverändert liegt das Ding da, verrostet und verkrustet, an manchen Stellen sanft schimmernd.

„Toll habt ihr es hier! Könnte ich nicht bei euch einziehen? Fuchs und Dachs haben sich doch immer gut vertragen. So richtig gemütlich könnte es mit uns werden!“, sagt Ferdi.

„Hm, eigentlich sind wir lieber unter uns, und dann haben wir ja auch schon einen Mitmieter!“, gibt Damian zu bedenken. „Wo denn, wer denn? Ich sehe und höre niemanden!“

„Da, da hinten in der Ecke! Wir wissen nicht, wer es ist, woher es kommt!“- „Und dass die Kinder dauernd davor hocken und auf ein Zeichen von ihm warten, gefällt uns gar nicht!“, jammert Frau Melina.

Ferdi schaut in die Ecke, in der das Ding liegt. „O,o! O,o!“, schreit er entsetzt. Sein Fell sträubt sich. Er springt einen Satz nach hinten. Seine Ohren sind angelegt, seine Augen schreckgeweitet. „Das, das, das ist ein Blindgänger!“, schreit er.

„Blindgänger? Das kann ja gar nicht gehen, also ist es auch kein Gänger! Und blind? Wie willst du das denn feststellen, Ferdi, wenn das Ding doch gar nicht erst Augen hat!“, ruft eines der aufgewachten Kinder. „So wahr ich Ferdi Fuchs heiße: Ein Blindgänger ist eine Granate aus dem letzten Weltkrieg, den die Menschen führten. Die Granate ist damals nicht explodiert! Das heißt, dass der gesamte Sprengstoff noch darin ist!“

Familie Dachs ist sprachlos. „Gefährlicher als ein Drache! Mit diesem Mieter also leben wir zusammen! Also ist noch Leben in dem Ding!“

Leben? Das Gegenteil von Leben!

„Nicht rangehen, nicht berühren, keine Erschütterungen!“, schreit warnend der kluge Ferdi Fuchs. Dann klemmt er den Schwanz zwischen die Beine und verschwindet, so schnell er kann, im eigenen Bau.

Familie Dachs hat zum Glück auf Ferdi Fuchs gehört: Ganz schnell haben sie sich einen verlassenen Dachsbau gesucht und sind dort eingezogen.

In der Silvesternacht gehen die ersten Böller los, Feuerwerkskörper lassen den Nachthimmel hell und grellbunt werden. Künstliche Sterne, künstliche Sonnen, künstlicher Feuerregen beherrschen den Himmel. Es zischt und heult, und die Tiere des Waldes verkriechen sich ängstlich.

Aus der Gegend, in der sich der alte Dachsbau befand, kommt ein Donnerschlag, kaum zu unterscheiden von den Böllerschüssen der Silvesternacht. Erdbrocken fliegen hoch, eine Feuersäule, wie von einer Rakete, zischt empor! Es hätte der Dachsbau gewesen sein können. – Die Richtung, aus der es sichtbar ist, stimmt. – Genau weiß man es nicht.

Melina Dachs weint ein Tränchen. „Dort hatten wir es so schön!“, jammert sie.

„Hier werden wir es noch viel schöner haben“, verspricht Damian.

„Und vor allem: Hier gibt es kein gefährliches Ding!“

„Wie hieß das Ding noch?“

„Banate!“ „Nee!“

„Schandate!“ „Nein!“

„Granate!, ihr Blödmänner!“, schreit die kleine Mela.

Ferdi Fuchs und Damian sind wieder gute Freunde. „Und Ferdi hat seine gute Laune wiedergefunden. „Eigentlich“ – so denkt Ferdi Fuchs – „habe ich einer Dachsfamilie das Leben gerettet!“ Das macht ihn stolz und glücklich. Und es macht ihm so richtig, richtig gute Laune! Und noch ein Gedanke macht ihm gute Laune: Im Frühjahr möchte er eine Familie gründen, möchte es so haben, wie die Familie Dachs.