Geschichte Rotschwanz-Franz

von Sigrid Mundt

Rotschwanz-Franz hat Ende Oktober Geburtstag. Rotschwanz-Franz ist ein besonders flinkes Eichhörnchen mit blanken schwarzen Äugelchen, lustigen Pinselöhrchen und einem buschigen, feuerroten Schwanz. Sein übriges Fell ist rotbraun.

Schon einen Tag vor seinem Geburtstag freut er sich mächtig, denn es sollen viele Gäste kommen, und das verspricht auch, dass es viele Geschenke geben wird!

Rotschwanz-Franz huscht aus seinem Wald in den dazugehörigen Stadtteil Stadtwald. Übermütig ist es, ärgert die Marktfrauen und bedient sich ganz einfach der Köstlichkeiten, die die Natur noch einmal in Hülle und Fülle auf die Marktstände gebracht hat. Die Marktfrauen schreien ärgerlich, die Kinder lachen über das freche Eichhörnchen und die Hunde verschlucken sich fast vor lauter Aufregung, vor Bellen und Zerren an der Leine.

Rotschwanz-Franz huscht ohne aufzupassen über die stark befahrene Straße. Bremsen quietschen – das konnte schief gehen! Und dann hätte es morgen keinen Geburtstag gegeben.

Auf dieser Straßenseite liegt die KITA „Rübezahl“. Die Kinder sind im Garten und freuen sich, als sie das muntere Eichhörnchen entdecken. Raschelnd flitzt Rotschwanz-Franz durch das bunte Herbstlaub, welches schon den Boden der Wiese bedeckt. Die Blätter wirbeln auf und eh man sich versieht, flitzt es schon den nächsten Baumstamm hoch, wirft mit einer Kastanie nach den Kindern, hüpft mit einem Riesensprung zum nächsten Baum und – runter, Sprung, weg ist es! Wieder über die Straße, wieder nicht aufgepasst!

Im Seniorenheim findet es ein geöffnetes Fenster, huscht hinein und entdeckt eine große Schale mit Nüssen verschiedenster Sorten. Schnell, bevor jemand kommt, steckt er sich die Backentaschen voll und verschwindet in Richtung seines Waldes.

Die Sonne scheint und lässt die bunten Blätter leuchten. Ein leichtes Lüftchen kitzelt seine Pinselöhrchen. „Bisschen mehr davon“ murmelt er und knabbert genüsslich an einer der gemopsten Nüsse.

Das Lüftchen flüstert: „Mehr willst du? Kannst du gerne haben!“ Ein kleiner Wind kommt auf. Die wenigen bunten Blätter, die noch an den Bäumen sind, bewegen sich leicht. Rotschwanz-Franz turnt weiter nach oben in die Krone des Baumes. „Das ist doch kein Wind, das ist doch ein Mückenfurz!“, meutert er, der kleine Eichkater.

„Mehr willst du?“, säuselt der kleine Wind. Und der kleine Wind wird zum großen Wind. Die Äste beginnen sich zu bewegen und schaukeln den kleinen Eichkater hin und her. „He, Wind, du bist mir zu schwach auf der Brust. So musst du das machen!“ Und der kleine Eichkater Rotschwanz-Franz bläht seine Backen auf und pustet, pustet und pustet – und all seine Nussvorräte fallen in hohem Bogen heraus.

Die anderen Tiere, die Vögel, Mäuse, Käfer, Hasen und Igel lachen und sammeln schnell auf, was auf den Boden des Waldes gefallen ist.

Auch der Wind lacht und zieht dem Rotschwanz-Franz einen Scheitel durch seinen roten Schwanz. „Du wirst schon genug bekommen“, pfeift er ihm in die Pinselohren.

„Mehr will ich, mehr, mehr!“, schreit das Eichhörnchen. „Morgen habe ich Geburtstag und da brauche ich viele Nüsse, Bucheckern und Samen für meine Gäste! Wirf sie mir runter! Ha, es macht Spaß, so großen Spaß! Geburtstag, Geburtstag! Los, streng dich an, Wind!“

Und der Wind wird zum Sturm. Er heult und die Bäume biegen sich, knarren und ächzen und alle Tiere verstecken sich. Kein Spaziergänger läuft mehr auf den Wegen des Stadtwaldes. Kein Jogger ist weit und breit mehr zu sehen. Die Blätter wirbeln über die einsamen Waldwege. Rotschwanz-Franz springt von Baum zu Baum, spiralförmig flitzt er die Baumstämme hoch und wieder runter.

„Mückenfurz, Mückenfurz!“, schreit er. „Sturm, ich will, dass du durch mein Fell fährst wie mit hunderttausend Fingern, ich will, dass du meinen feuerroten Schwanz wie eine Fahne schwenkst und dass du brüllst: „Morgen hat Rotschwanz-Franz Geburtstag“, denn alle Tiere des Waldes sollen davon erfahren! „Mückenfurz, Mückenfurz!“

Da bekommt der Sturm eine richtige Wut: „Ich geb dir Mückenfurz!“ Und der Sturm wird zum Orkan. Die Bäume biegt der Orkan, bis ihre Kronen fast den Boden berühren. Die Tiere in ihren Höhlen, ihren Nestern, ihrem Bau halten ganz still, spitzen die Ohren und hören das Stöhnen des Waldes, das Pfeifen, das Knacken, das Heulen.

Manche zittern vor Angst und versuchen einen Unterschlupf bei anderen Waldbewohnern zu finden. Jetzt halten alle Tiere zusammen, keines tut dem anderen etwas. Rotschwanz-Franz klammert sich an einen dicken Ast. Er ist jetzt ganz still geworden. „Ob mir jemand Unterschlupf gewährt?“ Aber alle befragten Tiere, die noch unterwegs sind und schnell in Sicherheit möchten, geben ihm die gleiche Antwort: „Du mit deiner großen Klappe! Es konnte ja nicht stürmisch genug sein, hast den Mund zu voll genommen! Sieh zu, wie du mit den Naturgewalten fertig wirst, die für dich ja ein „Mückenfurz“ waren!“

Rotschwanz-Franz presst sich an den Boden, er kann sich kaum halten. Er sucht nach einem geschützten Eckchen. Der Orkan höhnt: „Na, reicht es dir jetzt?“

Da bricht ein dicker Ast und stürzt auf den kleinen Eichkater. Der feuerrote Schwanz ist eingeklemmt. Rotschwanz-Franz ist gefangen, kann nicht weiter, strampelt, schreit um Hilfe, aber bei diesem Höllenlärm hört ihn keiner, und keiner würde ihm auch helfen wollen.

„He, Orkan, ich habe doch morgen Geburtstag! Willst du, dass heute mein letzter Tag wird? Bitte, hör doch auf zu wüten!“

Doch der Orkan denkt gar nicht daran aufzuhören. Er zerrt und zauselt, zerbricht und zerstört, lässt die Bäume splittern und seine ganze Kraft spielen.

Von ferne hört man die Sirenen der Unfallwagen, der Feuerwehr. Große Schäden hat der Orkan angerichtet.

Nach und nach beruhigt sich aber der Orkan. Seine Wut ist vorbei. Rotschwanz-Franz liegt bis zum nächsten Tag hilflos unter dem Ast. Einige der Waldtiere, die sich in der jetzt eingekehrten Stille heraustrauen, kommen an ihm vorbei. Sie wollen helfen, aber schaffen es nicht, den schweren Ast von ihm zu nehmen. Von manchen aber muss er sich auslachen lassen.

Zum Glück kommt ein Forstbeamter, der sich die Waldschäden ansehen will. Er sieht das Eichhörnchen und befreit es. Langsam uns schwach schleppt sich Rotschwanz-Franz auf einen stehengebliebenen Baum und verschläft seinen ganzen Geburtstag. Erst am Abend erwacht er. Der Himmel ist klar, die ersten Sterne funkeln, und jetzt ist er froh und dankbar, dass er seinen Geburtstag erleben darf, auch wenn es schon Abend ist.

Aber eine kleine Geburtstagsfreude ist ihm noch vergönnt: Ein freundliches, kleines, schwarzbraunes Eichhörnchenmädchen ist neu im Waldrevier. Beide schließen Freundschaft.

„Woher kommst du? Du bist so dunkel?“, fragt Rotschwanz-Franz sie. „Ich komme aus einem Nadelwald, da sind wir Eichhörnchen alle etwas dunkler, weißt du? Der Orkan hat mich hierher geweht. Aber wenn du nichts dagegen hast, möchte ich bei dir bleiben.“

„Oh, ja, bleib für immer, du, meine einzige Geburtstagsüberraschung! Ich glaube, ich könnte dich lieben. Wie heißt du eigentlich?“ Das kleine Eichhörnchenmädchen flüstert ihm ihren Namen leise ins Öhrchen, und weil sie es nur ihm ins Ohr flüstert, wissen wir nicht wie sie heißt.

Vielleicht habt ihr eine Idee, wie sie heißen könnte?