von Sigrid Mundt
Ein bisschen aufgeregt ist Frank schon – Er wird morgen eingeschult. Ein bisschen neugierig ist er aber auch. Vor allem möchte er doch wissen, wie seine Schultüte aussieht! Rot und grün? Blau und silbern? Vielleicht mit Punkten, oder mit bunten Bildchen? Groß, oder eher klein? Und was mag darin sein?
Frank wohnt auf der Frankenstrasse in Stadtwald. Er wird die Stiftsschule auf der Amselstrasse 30 besuchen. Diese Schule ist eine Gemeinschaftsgrundschule, das weiß er.
W i r wissen, dass im Jahre 1678 Freiherr von Vittinghoff-Schell 600 Reichstaler stiftete, aus deren Zinsen ein Lehrer besoldet werden sollte. Zu dieser Zeit gab es ein Schulgebäude in Rellinghausen, nahe der Lambertuskirche. Durch den Kohlebergbau zogen immer mehr arbeitsuchende Menschen in die Gegend, und das Schulgebäude wurde bald zu klein für die vielen Kinder der Einwanderer. Ein größeres Gebäude wurde gefunden in Stadtwald. Umzüge 1823 und 1860 fanden statt. 1959 wurden katholisch und evangelisch erzogene Kinder dann gemeinsam unterrichtet in der Gemeinschaftsgrundschule Stadtwald. Rellinghausen hat die Ardeyschule.
Die Neugier lässt Frank keine Ruhe.
Er schleicht sich auf den Söller. Neugierig schaut er in alle Ecken, aber eine Schultüte ist dort nicht versteckt. Heimlich durchsucht er das ganze Haus. Nichts! Zuletzt huscht er ins Schlafzimmer der Eltern. Er legt sich auf den Bauch, schaut unter die Betten, aber auch da liegt keine Schultüte.
Frank steigt auf die Betten, reckt sich, springt federnd hoch, um auf den Schrank sehen zu können. Nein, auch da ist nichts Buntes zu erblicken. Wütend lässt er sich rücklings auf die Matratze plumpsen.
Der Schrank! Ja, der Schrank – wieso ist er denn nicht gleich darauf gekommen? Ein Schrank hat ja nicht nur ein Oben, sondern auch ein Innen. Frank springt auf.
Er öffnet leise und vorsichtig die Schranktür; es darf ja niemand etwas hören. Frank steigt in den Schrank. Von innen zieht er die Tür etwas an sich heran. In diesem Moment betritt die Mutter das Schlafzimmer, sucht nach etwas, murmelt: „Ach, hab ich den Schrank offen gelassen!“, und schließt die Schranktür mit dem Schlüssel zu. Dann verlässt sie den Raum.
O weh! Frank ist eingesperrt! Dunkel ist es im Schrank. Und stickig. Frank bekommt Angst, beginnt zu weinen. Was nun? Rufen, ganz laut? Aber dann würde die Mutter doch fragen: „Was machst du in unserem Schrank?“ Dann müsste er sagen: „Ich war so neugierig, bin auf der Suche nach der Schultüte!“ Nein, das geht nicht.
Frank beginnt nachzudenken. Erst einmal schiebt er Kleidungsstücke zur Seite und bereitet sich aus Vaters Jacke eine weiche Liegefläche. Aber bald kommt der Hunger. Frank tastet die Jackentaschen seines Vaters ab. Er findet eine kleine, aber sehr starke Taschenlampe. Endlich Licht! Er atmet auf. Zwei Hustenbonbons stillen erst einmal den größten Hunger. „Jetzt müsste ich die Schultüte finden mit all den leckeren Dingen darin!“ Frank wühlt zwischen der eng hängenden Kleidung, aber da ist keine Tüte.
Frank sucht weiter und findet ein Stückchen Kreide in einer von Vaters Jackentaschen. Was soll er jetzt tun? Der Geruch nach dem Lavendelkraut, welches Mutter gegen Motten einsetzt, macht ihn ganz benommen. Durch das Licht der Stablampe angelockt, taumeln zwei Motten um ihn herum. „Uns ist so schlecht!“, flüstern sie. „Lange halten wir nicht mehr durch! Dieser fürchterliche Geruch macht uns ganz schwach. Ach könnten wir doch hier raus!“ „Ja, ich möchte auch raus“, sagt ganz leise Frank.
Vor lauter Langeweile – und auch, um sich abzulenken – beginnt er, mit der Kreide auf die Innenrückwand des Schrankes zu zeichnen. Ein runder, kahler Kopf mit riesigen Ohren entsteht. Dann zeichnet er einen viel zu kleinen Körper, krumm und dürr, mit Armen, die fast bis zum Boden reichen. Daran hängen die Hände mit krallenförmigen Fingern. Krumme, dackelige Beine und Plattfüßen vervollständigen diese Figur. Frank lacht: „Das ist ja ein richtiges kleines Monster geworden!“, freut er sich. Dann legt er sich ein bisschen auf seine weiche Unterlage und schaut sich im Liegen sein Werk an.
Doch plötzlich hört er eine Stimme neben sich. Er traut seinen Augen nicht: Genau diese Figur, die er gezeichnet hat, steht klein und lebendig neben ihm.
„D d das gibt’s es doch nicht!“, stottert Frank. „Ja, du hast mich entworfen, jetzt bin ich da. Und nun musst du mir auch einen Namen geben“, spricht das Wesen. Es hopst auf seinen Plattfüßen von links nach rechts, von rechts nach links. „Hör auf mit deiner Hopserei, ich kann so nicht denken“, flüstert Frank.
„Sollen wir dich nicht einfach „Kleines Monster“ nennen?“ Etwas anderes fällt Frank in seiner Aufregung nicht ein.
„Nenn mich doch kleines, wunderhübsches, sehr liebes, nützliches und superschlaues Monsterlein!“, bittet es einschmeichelnd. „Du spinnst wohl, solch lange Bezeichnungen hat kein Staatsmann, kein König, niemand! Und wunderhübsch – na ja, das ist wohl Geschmackssache! Ob du sehr lieb bist, das kann ich doch noch gar nicht wissen. Und nützlich? Wie willst du dich denn hier nützlich machen?“
„Aber superschlau – das bin ich, denn ich weiß, wie viel ein großes Ohr und noch ein großes Ohr sind: Nämlich, zwei große Ohren. Und die können sehr gut lauschen! Und die hören, dass es hier im Schrank zwei Motten gibt, denen es nicht gut geht. Und eine Motte, die Schluckauf hat. Das sind zusammen drei Motten. Na, bin ich schlau?“
Frank ist beeindruckt, denn rechnen soll er ja ab morgen erst noch lernen.
Frank wird erinnert, weshalb er hier im verschlossenen Schrank sitzt: Die Schultüte! „Wäre ich doch bloß nicht so neugierig gewesen“, seufzt er. Der Hunger meldet sich wütend zurück. Der Durst quält ihn zusätzlich. Am schlimmsten aber ist, dass Frank immer öfter ans Pipimachen denken muss! Stunde um Stunde vergeht, und Frank beginnt wieder zu weinen. Er hält an, hält an…. Ihm wird abwechselnd heiß und kalt.
„Schramon der 1. möchte ich heißen, Minister, Hüter des Inneren eines Schrankes, Pfleger und Heger der Kleiderbügel!“, schreit plötzlich das kleine Monster.
„Das ist mir so etwas von piepegal!“, schreit Frank ganz laut zurück, und da passiert es: Frank macht Pipi in den Schrank!
„Pipi in den Schrank, Pipi in den Schrank!“, schreit begeistert das kleine Monster Schramon. Es springt von einem krummen Bein auf das andere, zieht sich seine riesigen Ohre noch mehr in die Breite und kann sich vor Lachen kaum mehr beruhigen. „Lach nicht so blöd“, weint laut Frank. „Meine Ohren hören Schritte“, flüstert jetzt Schramon.
Da öffnet sich die Schlafzimmertür. Oma betritt das Zimmer, sieht, wie aus dem verschlossenen Schrank ein Bächlein nicht aufhören will zu fließen und wie es im Teppich versickert.
„Frank, Fränki!“, ruft sie und öffnet die Schranktür. Drei Motten torkeln ihr mehr tot als lebendig entgegen und retten sich in eine Falte des Fenstervorhanges.
Dann kommt ein weinender Frank in ihre Arme gestürzt. „Oma, Oma, ich hab Pipi in den Schrank gemacht! Wenn Mama und Papa das sehen!“
Aber Oma weiß wie alle Omas Rat: „Nun beruhige dich, ich wasche und putze alles ganz schnell weg. Und du ziehst dir ganz flott trockene Wäsche und Kleidung an. Aber sag mir doch bloß mal, was du in dem Schrank deiner Eltern zu suchen hast?“
Und da erzählt ihr Frank von seiner Neugier.
„Ja, Frank, da konntest du lange suchen, denn die Schultüte habe ich eben mitgebracht und wollte sie dir heute schon zeigen. Aber jetzt üben wir einmal Geduld zu haben, und deswegen bekommst du die Schultüte erst morgen am Einschulungstag.“
„Neugier ist schön, wenn es darum geht, etwas zu lernen, sich Wissen anzueignen. Deine Ungeduld, deine Neugier, Fränki, fand ich nicht so toll“, rügt die Oma.
Oma ist eine schicke und jung aussehende Oma. Ganz stolz geht Frank am nächsten Tag mit ihr zur Stiftsschule und dem wichtigsten Ereignis seines bisherigen Lebens entgegen.
Vor der Stiftsschule sind schon viele Kinder mit ihren Eltern und Großeltern versammelt. Frank findet seine Tüte sehr schön, schöner als alle anderen. Er ist froh, dass er sie nicht vor der Zeit gesehen hat. Kleine bunte Monster tummeln sich auf der Tüte und erinnern Frank an seine Schrankbekanntschaft.
Frank ist nun Schüler der Gemeinschaftsgrundschule in Stadtwald. Er geht gerne in diese Schule und hat eine sehr nette Lehrerin.
Manchmal schlüpft er ins Schlafzimmer seiner Eltern, öffnet die Schranktür und flüstert: “Schramon, bist du noch da?“ „Na klar, ich bin da! Ich mache mich hier nützlich, vertreibe Motten und puste den Staub von den Kleiderbügeln. Wenn deine Mutter aber eines Tages deine Kreidezeichnung findet und wegwischt, dann werde auch ich verschwunden sein. Aber lustig war die Zeit mit dir im Schrank!“ „Hm. Vielleicht für dich“, murmelt Frank.