Tauchen Sie mit Marlies Holle ein in ein düsteres Kapitel unserer Heimatgeschichte: Rellinghausen, 1025 Jahre alt – bis 1802 ein freiweltliches Frauenstift, danach bis 1910 eine eigenständige Bürgergemeinde und seitdem ein Stadtteil von Essen – war in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zentraler Schauplatz von Hexenprozessen. Innerhalb von nur zwölf Jahren wurden damals 42 Personen – Frauen und Männer – der Hexerei beschuldigt und hingerichtet. Eine Opferzahl, die gemessen an der damaligen Bevölkerungszahl von rund 600 Stiftsbewohnern in ihrem Umfang das hier unrühmliche Etikett „außerordentlich“ verdient.
Die einzelnen Schauplätze dieses „Hexenwahns“ können in Rellinghausen noch heute ausgemacht werden. Da ist zunächst der Gerichtsturm gen. Blücherturm zu nennen, jener Ort, wo die Beschuldigten gefangen gehalten, verhört und gefoltert wurden. Seit 1899 hält der Straßenname „Hexentaufe“ die Erinnerung an die so genannte ‚Wasserprobe‘ wach, mit der man die der Hexerei Beschuldigten zu überführen suchte. Von dort, wo seit 2014 eine Erinnerungs- und Informationstafel steht, blickt man auf jene Stelle am Prallhang der Ruhr, wo diese ‚Wasserproben‘ stattgefunden haben. Und auch die Stätte der Hinrichtung ist lokalisierbar. Es ist der ehemalige Galgenberg, der seit 1905 den Namen „Schillerwiese” trägt. Dort wurde eine weitere Gedenktafel aufgestellt, auf der die Namen der Opfer aufgelistet sind.
Hexenverfolgungen größeren Umfangs gab es zwischen 1500 und 1800 in fast allen Ländern Europas, jedoch mit unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlichen geographischen Schwerpunkten. Die Verfolgungen traten zumeist in Wellen auf, mit Höhepunkten im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert und noch einmal um 1660.
In Rellinghausen fanden die Hexenprozesse während der ersten Welle statt, in den Jahren von 1579 bis 1590. Darüber wurde schon einiges geschrieben und noch viel mehr erzählt, wobei Lücken gerne auch mit Phantasie und Unterstellungen gefüllt wurden.
Doch warum fanden gerade hier und zu dieser Zeit in Rellinghausen Hexenprozesse statt, während das Umland weithin verfolgungsfrei blieb? Was war der zeitgeschichtliche Kontext? Und warum interessiert uns die Hexenverfolgung heute noch?
Über kaum ein Thema sind so viel Klischees in Umlauf, und kaum eines ist derart mit Irrglauben, Ängsten, und gleichzeitig auch vielen Faszinationen verbunden: Zu den Komponenten des Phänomens ‚Hexenverfolgung‘ zählen neben dem Magieglauben im Volk eine ‚neue Theologie‘ von der Macht des Teufels und eine veränderte Justiz, die Hexerei als Massendelikt erfasste und die Folter legitimierte. Ergänzend hinzu kamen eine Medienrevolution (Erfindung des Buchdrucks), die politische Zersplitterung des Reiches und damit verbundene Machtkämpfe sowie zahlreiche Krisen zu Beginn der frühen Neuzeit – kaum irgendwo lässt sich das Phänomen Hexenverfolgung monokausal erklären.
Marlies Holle untersucht in Ihrem Buch, eingebettet in zeitgenössische Kunstgeschichte, die den Rellinghauser Hexenverfolgungen zugrundeliegenden Verschwörungstheorien und Mythen, die zum Teil bis heute kursieren. Spannend und bedeutsam gleichermaßen unterscheidet sie Fakten und Phantasien, schlägt sie dabei immer wieder auch die Brücke zur Gegenwart und zeigt: Hexen sind nicht aus der Welt. Die Klischees regen an zu Film- und Buchproduktionen, dienen als Werbegag, sind Veranstaltungsmagnet u. v. a. mehr. Doch während in unseren Breiten die „modernen Hexen“ ihre multimediale Medienpräsenz geniessen können, sind Verfolgungen vermeintlicher Hexen in vielen Teilen der Welt – z. B. in Afrika, Lateinamerika, Indien, Südostasien (insgesamt in 36 Ländern) – grausame Realität. Dort wurden in den letzten 50 Jahren mehr Menschen wegen Hexerei ermordet als im frühneuzeitlichen Europa. Inzwischen haben sich das UNHCR und die UNO des Problems angenommen. Im Jahr 2020 wurde durch eine Initiative des Internationalen Hilfswerks ‚Missio‘ erstmals ein Internationaler Tag gegen Hexenwahn ausgerufen. Damit soll künftig jährlich am 10. August auf das Verbrechen an Menschen aufmerksam gemacht werden, die noch immer wegen vermeintlicher Hexerei beschuldigt und getötet werden.
All dies macht deutlich: Hexenverfolgung, das ist in jeder Hinsicht ein brand-aktuelles Thema, weit über unsere Stadtteile hinaus.
Wir wünschen viel Spass beim Lesen !
Hexen im Dorf
Autorin: Marlies Holle, Essen
Herausgeber: Bürgerschaft Rellinghausen-Stadtwald e.V.
ISBN 978-3-9823187-0-7
April 2021
UVP: € 17,90 (inkl. 7% MwSt.)
Verkauf über den Buchhandel, die lokale Verkaufsstellen und über die Bürgerschaft.
Bestellungen bitte an info@bueresta.de . Verkauf direkt auch im Blücherturm – in der Regel Samstagnachmittag – bitte Öffnungszeiten per E-Mail anfragen.